An diesem Wochenende war meine Freundin auf einer Hochzeit in Sendai eingeladen - und ich habe natürlich die Chance genutzt und bin als "Tourist" mitgefahren.
Sendai hat gut 1 Mio. Einwohner und ist von Tokio aus in ca. 2 1/2 Stunden mit dem Shinkansen zu erreichen.
Eigentlich habe ich nicht wirklich viel erwartet - bisher haben sich doch fast alle japanischen Städte als eine bitterböse Warnung an alle Stadtplaner dieses Universums herausgestellt - zerstört von pseudo-futuristischen Ideen, gleichgewaschen und jeglicher Identität und Lebensqualität beraubt.
Nach unserer Ankunft gegen 12 Uhr am Bahnhof, habe ich mir in der Touristen-Information einfach mal einen Stadtplan geben lassen und bin 'drauf los gelaufen.
Der Bahnhofsvorplatz ist, wie in vielen Japanischen Städten, auf er +1 Ebene installiert, getrennt vom Verkehr, der unter der Plattform dahinrauscht. Dieser als "open space" kategorisierte Raum (?) hat leider nirgendwo in Japan Aufenthaltsqualitäten, hier bewegt man sich eigentlich nur zum oder vom Bahnhof. Auch in Sendai ist dies nicht anders.
Nach einer kurzen Strecke biege ich in die überdachte Shopping-Mall ein. Die ewig lange Einkaufsstraße wurde erst nachträglich überdacht, und ist ebenfalls in vielen japanischen Städten in dieser Art zu finden. War sie VOR der Erfindung der Shopping-Mall amerikanischer Prägung wohl DER Shopping Hotspot in der Stadt, finden sich heute eher Geschäfte der 2. und 3. Liga sowie Grandma-Shops wieder, die es verpasst haben, sich den veränderten Konsumanforderungen anzupassen.
Nach gut 500 Meter verlasse ich die Mall wieder und schlendere entlang einer Hauptstraße Richtung Kotodai-Park. Unterwegs komme ich an einem Büro meiner Lieblingsfirma in Japan vorbei -
Sekisui-House (was besonders lustig ist, wenn man die Werbung im Fernsehn sieht und die japanische Aussprache für meine Ohren in Richtung "Sexy House" tendiert).
Der Park in der Nähe der Bezirksverwaltung ist auf den ersten Blick nix Besonderes, immerhin gibt es hier ein wenig Schatten und Wasserspiele. Auch eine Bühne ist vorhanden, wo um die Mittagszeit diverse junge Bands ihre Instrumente malträtieren. Am Abend wird da wohl ein Konzert-Event stattfinden.
Vom Park aus soll meine nächste Stadtion die berühmte
Mediathek sein. Die Mediathek ist eine von
Toyo Ito komponiertes Gebäude, in dem sich nicht nur die städtische Bücherei sondern auch diverse Ausstellungsräume, eine loungige Bar sowie Arbeitsräume für Studenten befinden. All das umgeben von sehr viel Glas, coolen Aufzügen und - für eine städtische Einrichtung - großzügigen Öffnungszeiten (täglich 9-22 Uhr).
Zu dumm, dass das Grundstück vor der Mediathek durch eine Tankstelle belegt ist, warum die Stadt hier keinen urbanen Platz installiert hat, bleibt mir ein Rätsel.
Die Straße zwischen dem Park und der Mediathek - Jozenji-dori-Avenue - ist jedoch das eigentliche Highlight Sendais. Hier stehen an beiden Straßenseiten riesige Bäume, und in der Mitte gibt es einen Median für Fußgänger, der ebenfalls nochmal von Bäumen begleitet wird. Man fühlt sich wirklich wie im Wald, den Himmel kann man dank der dichten Baumkronen nicht sehen, und speziell an diesem doch schon etwas zu warmen Sommertag ist es hier sehr angenehm schattig. Die zentrale Fußgängerachse bietet Bänke an beiden Seiten, an Kreuzungen stehen Skulpturen rum, und ab und an gibt es auch ein kleines, mobiles Outdoor-Cafe.
So etwas habe ich in ganz Japan noch nicht erlebt - und bin dann doch etwas positiv überrascht aufgrund der plötzlichen urbanen Qualität, die sich mir hier bietet. Ich kann also einfach nichts Anderes tun, als hier eine kleine Pause einzulegen; ich setze mich also auf eine der Bänke , verzehre mein Mittagessen und schaue der Welt um mich rum zu. Für einen Moment fühle ich mich wie in Europa.
Jetzt werde ich von einem kurzen, aber heftigen Sommerschauer überrascht, der Regen prasselt nur so nieder. Gott sei Dank bin ich immer noch unter den Bäumen, die überhaupt kein Regen durchzulassen scheinen.
Ich schlendere weiter in Richtung Fluss, in der Erwartung, einen der für Japan typischen einbetonierten Kanäle zu sehen. Auch hier werde ich gleich ein weiteres Mal überrascht Obwohl der Fluss eine betonartige Fassung an beiden Seiten aufweisen kann, ist der eigentliche Flusslauf doch sehr organisch und naturnah geprägt, mit kleinen Inseln und diversen Pflanzen, die hier wachsen. Auch scheint das Wasser auf den ersten Blick sehr klar und sauber zu sein. Grund genug, mich noch näher ans Ufer ranzuwagen.
Über die Brücke und eine Fussgängertreppe hinunter bahne ich mir meinen Weg zum Fluss. Quasi unter der Brücke laufe ich 50 Meter durch eine enge Straße mit kleinen, alten Häusern. Die standen hier wohl schon vor der Brücke, als der Fluss noch mehrmals im Jahr mit Überschwemmungen auftrumpfen konnte und bevor ihm mittels eines Staudamms die Kraft genommen wurde.
In den Flussauen spielen Kinder Baseball. Ich setze mich derzeit ans Ufer und schaue dem Wasser beim Fließen zu. Innerhalb von höchstens 10 Minuten queren zwei professionell ausgestattete Angler meinen Weg, die wenig später im Fluss stehen und sich im Fliegenfischen üben - das Wasser muss wirklich sehr sauber sein.
Nach der kleinen Pause geht es weiter entlang der Kirschblütenprommenade, die im Sommer leider nicht wirklich reizvoll ist, da die ganzen alten Kirchbäume eigentlich nur den Blick zum Fluss verhindern. Im Mai sieht es hier bestimmt anders aus.
Am Ende komme ich zu meiner zweiten Brücke. Diese ist von Pflanzen überwuchert und macht einen richtig schönen, alten Eindruck. Der nun folgende Abschnitt entlang des Flusses ist Fußgängerzone, etwas zu viel Beton, aber sonst ganz nett. Und er endet etwas abrupt vor einem etwas bonzigen Haus, so dass ich nur über einen Schleichweg weiterkomme.
Jetzt folgt einer der schönsten Abschnitte.
Nächstes highlight - soweit ich die Karte und den Flusslauf analysiert hatte - war eine 180° Schleife. Diese kommt zu Stande, weil der Fluss auf eine ziemliche Felswand trifft und so seinen Lauf ändert. Hier erwarte ich den wohl eindrucksvollsten Anblick der Natur Sendais. Dieses Mal werde ich jedoch negativ überrascht. Hier gibt es keinen Park, keine Flussaue, auch kein Hotel oder gar ein Restaurant - hier lebt eine Fahrschule vor sich hin. Die Fahrschüler kreisen auch an diesem Tag vor dem Hintergrund der Felsklippen und des Flusses über die Trainingsstrecke. Wer die Genehmigung gestempelt hat, den sollte man doch besser wegschließen - was eine Unverschämtheit gegenüber der Natur!
Ein paar Flussüberquerungen später stehe ich am Fusse eines Hügels, der weiter oben mit dem
Zuihoden Mausoleum aufwarten kann. Hier liegt
Date Masamune begraben, ehemaliger Daimyo von Sendai. Die Originalgebäude sind alle im zweiten Weltkrieg den Flammen zum Oper gefallen, heute kann man da oben lediglich die originalgetreuen Nachbauten anschauen. Und auch nur einige, da die vollständige Nachbildung noch nicht abgeschlossen ist. Die eigentlichen Gräber interessieren mich weniger, aber die ewig-langen Felstreppen machen schon etwas her.
Nach erfolgreichem Abstieg laufe ich weiter entlang des Flusses und komme durch richtig alte Nachbarschaften und schließlich entlang einer ganzen Reihe von Universitäten. In Sendai gibt es derart viele Bildungseinrichtungen, die zudem auch ein internationales Publikum anzusprechen scheinen. Auf jeden Fall begegne ich an diesem Tag verhältnismässig vielen Nicht-Asiaten.
Das letzte Stück meines Spaziergangs führt mich durch die Aoba Dori. Auch diese Straße ist von
Zelkoven gesäumt, hat aber keine Mittelachse wie die Jozenji-dori-Avenue.
Nach gut 4 1/2 Stunden und gut 10 km komme ich endlich in der Nähe des Bahnhofs am Hotel an und gönne mir die längst überfällige Dusche.
Noch ist der Tag allerdings nicht vorbei. Gleich nachdem meine Freundin von ihrer Hochzeitsparty erschöpft ins Hotel zurückkehrt, dränge ich sie auch gleich dazu, doch noch mal zur Mediathek zu gehen. Schließlich will ich das Gebäude und die Einrichtung an sich auch abends, erleuchtet sehen. Wir schlendern also durch die jetzt halbleeren überdachten Einkaufszeilen, wo sich zunehmend die Jugendlichen treffen, um den Party-Abend einzustimmen.
Die Mediathek ist abends noch viel eleganter als tagsüber. Durch die dezente Beleuchtung kommt vor allem die gläserne Konstruktion des Gebäudes voll zur Geltung.
Noch viel mehr als die Mediathek will ich aber noch ein zweites Mal den öffentlichen Raum im Zentrum der Jozenji-dori-Avenue geniessen. Schon bei meinem ersten Besuch ein paar Stunden zuvor habe ich beschlossen, dass ich hier später in Ruhe sitzen und ein Bierchen trinken will. Diesem Plan kommen wir nach, eben im nächsten Convenienece-Store Halt gemacht, und schon sitzen wir im Halbdunkeln auf einer netten, sauberen Parkbank. Und sind ganz alleine! Wäre dies Paris oder Barcelona oder Lissabon, man müsste wohl Wochen im voraus reservieren, um hier Samstag abends einen Platz mit seiner Verehrten zu bekommen. Wir sind alleine, die jungen Japaner treiben sich lieber in den grell erleuchteten, wenig einladenden Einkaufspassagen rum. Hier sind sie wohl näher an ihren Karaoke-läden dran. Wie auch immer. Uns soll es recht sein. Wir geniessen den Augenblick.
Auch wenn ich Sendai lediglich einen halben Tag erkundet habe, kann ich doch sagen, dass hier vieles anders ist als in Tokio, Osaka und sonst wo in Japan. Hier rennt niemand gehetzt durch die Gegend. Alles ist etwas gemütlicher. Und sehr viel Grüner. Die Jozenji-dori-Avenue ist einfach wunderschön, wohl einer der schönsten Flecken Stadt, die ich bisher in Japan erlebt habe.
Größere Kartenansichtp.s. Der Bericht zu den Bildern aus
Matsushima folgt die Tage....