Früher, in der Schule, war es eigentlich keine so schlechte Sache, sich freiwillig zum Schulhofdienst zu melden.
So war es ohne Probleme möglich, die große und kleine Pause etwas in die Länge zu ziehen, um so die eher uninteressanten Unterrichtsstunden zu verkürzen. Schließlich mussten die Reinigungsutensilien wieder sachgemäß verstaut werden.
Dieser Tage holt mich diese Erinnerung an längst verflossene, sorgenfreie Tage wieder ein, denn auch hier in Japan gibt es eine Art "Schulhofdienst.
Hier nennt sich das ganze Borantiia-seesoo - wobei "seesoo" (清掃, 'seizou') soviel wie Reinigen, Aufräumen, Säubern bedeutet, und "Borantiia" (ボランティア) die (erstaunlich indisch-klingende) japanische Variante des englischen Wortes Volunteer ist.
Die Bürostadt, in der meine Firma ihren Hauptsitz und ich meinen Arbeitsplatz habe, heißt i-Garden Air - warum auch immer. Nun gut, wenn man als Industrienation immer noch keine Straßennamen erfunden hat und historische Referenzen nicht en vogue sind (in Europa oder den USA würde das Gelände wohl noch in 200 Jahren "alter Rangierbahnhof" heißen), kommt es wohl zu solch extremen Anglizismen. Auf jeden Fall ist das Gelände, auf dem sich heute eine dichte Sammlung von Bürobauten, Hotels und Restaurants drängen, privater Raum. Diese - vor allem in den USA - als durchaus kritisch und fragwürdig angesehene (Teil-)Privatisierung des öffentlichen Raumes hat zur Folge, dass hier nicht nur überall privates Wach- und Sicherheitspersonal herumläuft, sondern auch die Reinigungsarbeiten vom Eigentümer übernommen werden müssen.
Alle paar Monate gibt es zusätzlich eine Volunteer-Säuberungskolonne - die sich aus den beschäftigten Büroarbeiter zusammensetzt. Ab 8:30 morgens wuselt diese Gruppe der Freiwilligen dann in vollem Businessoutfit - also mit Anzug und Krawatte auf dem Gelände herum und sammelt dort all die Kippen und Plastiktüten auf, die sie an den Tagen zuvor achtlos fallengelassen (a.k.a. weggeworfen) haben. Hier ein paar Bilder, die mit der Einladung über das Mailsystem meiner Firma verschickt worden sind:
(Erstaunlich, wie die Foto-verrückten Japaner derart qualitativ-schlechte Fotos produzieren können)
Die Aktion ist schon sehr lustig, und irgendwie auch sehr sehr japanisch. Warum übernimmt nicht der private Reinigungsdienst diese Arbeit? Warum müssen das die chronisch-überbeschäftigt-tuenden Angestellten in ihren Business-Anzügen machen? Und dann noch VOR der regulären Arbeitszeit? Da steckt sicherlich mehr dahinter.....
Auch innerhalb meiner Firma ist zu beobachten, dass anscheinend niemand im Kindergarten gelernt hat, dass man seine Bauklötze, mit denen man gespielt hat, anschließend wieder zusammensucht und in die Kiste zurücklegt - hier im Büro sieht es zum Teil aus wie ..... (ich verkneife mir hier weiteres). Die Jungs und Mädels lassen nach ihren ständigen Meetings einfach ihre Kaffee-Pappbecher stehen, überall fliegen die Papierschnipsel rum, die vom Lochen übriggeblieben sind. Und ein Metalldetektor würde bei den in rauen Mengen auf dem Boden verteilten Büroklammern und Clips seine wahre Freude haben. Hier ist es also auch nicht anders, also braucht es die monatlich stattfindende Reset-Time - damit alle endlich mal wieder ihren Saustall aufräumen (Bei der letzten Reset-Time hat auf meiner Etage anscheinend jemand herausgefunden, wie man die Lautsprecher abdrehen kann - so dass die begleitende Lounge-Musik nicht mehr zu hören war und die Reset-time ohne weiteres übergangen wurde.).
Warum haben die Japaner um mich herum so wenig Sinn und Aufmerksamkeit für ihre Umwelt? Das Büro ist doch für viele mehr als ihr zu Hause, wenn man sich mal vor Augen führt, dass die hier jeden Tag zwischen 12-14 Stunden Minimum verbringen. Und trotzdem schlampern sie in Sachen Aufräumen und Ordnung. Und das in einer Nation, die jahrelang berühmt war für ihre Feinfühligkeit im Umgang mit der Natur und ihrer Umwelt.
Vieles hat wohl damit zu tun, dass es in Japan praktisch keine Sozialkritik zu geben scheint. Hier wird niemand zurecht gewiesen. Da kann eine schwangere 75-jährige Großmutter mit gebrochenem Bein und Baby auf dem Arm vor den besetzten Priority-Sitzen in der U-Bahn auftauchen, niemand von den dort sanft schlafenden Businessmen würde auf den Gedanken kommen, seinen Platz herzugeben. Und niemand würde sie dafür kritisieren. Neulich wurde sogar ein junger Businessman verurteilt, weil er eine junge Frau mehrmals ins Gesicht geschlagen hat. Diese hatte sich erdreistet, ihn mehrmals zum Hergeben seines Sitzplatzes zu Gunsten der eben eingestiegenen alten Dame aufzugeben. Willkommen im Land des Lächelns und der Freundlichkeit.
Vieles wird im Normalfall einfach totgeschwiegen, oder derart seicht durch die Blume ausgedrückt, dass am Ende niemand mehr weiß, was eigentlich gemeint war. Irgendwie ist die ganze Geschichte mit den japanischen Höflichkeitsregeln völlig aus der Kontrolle geraten und nicht wirklich dem Fortschritt dienlich. Ich denke sehr oft, dass, wenn die Chefs hier mal endlich klare Ansagen machen würden, vieles viel effektiver und besser laufen würde. Aber da speziell die Führungsetage in den Japanischen Firmen noch aus prä-historischen Zeiten stammt - als Feuer noch eine wirkliche Attraktion war - kommt es wohl kaum zu einem großen Umdenken. Vor allem, wenn sich die jüngere Riege diesen völlig überholten Regeln gegenüber weiterhin verpflichtet fühlt.
Auch im TV gibt es - soweit ich dies durch meinen gegen Null tendierenden TV-Konsum beurteilen kann, keine sozialkritischen Themen. Sind die zu kompliziert für die Japaner? Oder will die Verwaltung (die Hinter allem Übel in diesem Land zu stecken scheint) seine lieben Mitmenschen nicht mit der Wahrheit konfrontieren? Stattdessen wimmelt es von Sendungen, die alle nach dem gleichen Prinzip funktionieren "Japanern zuschauen, die selbst fernsehen". Eine Gruppe von TV-Prominenten (die sind nur im TV, weil sie im TV sind) schaut sich Beiträge an, die es qualitativ in Deutschland noch nicht mal ins Kinderfernsehen schaffen würden. Und der wirkliche TV-Zuschauer sieht diesen Menschen zu, wie sie bei dem Beitrag ihre Grimassen ziehen und diverse "Aaahhh" und "Ooohhh" Kommentare von sich geben. Am Ende versuchen dann alle, möglichst lustige (für japanische Verhältnisse) Kommentare zu den Einspielfilmen abzugeben. Das ist japanisches Fernsehen - und alle schauen es! Eine ganze Nation auf RTL2-Niveau, fernsehtechnisch jedenfalls.
Nun gut, vom Schulhof im gemütlichen Niederkassel über die nicht stattfindende Sozialkritik zum Dumpfbacken-TV in Japan. Und alles in einem Blog-Post. Nicht schlecht, oder?
3 Wochen Japan März 2009 - der grosse Essen-Post - Teil 2
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Wie lange lag das denn hier unveröffentlicht rum? Ist ja peinlich..
Yakisoba-Brötchen, matschig und fettig:
Rührei mit Bacon-Brötchen, noch fettiger aber w...
1 Kommentar:
Mama sagt : ein schlagernder Japaner in der U-Bahn, es gibt auch agressive Japaner.............
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