7. Oktober 2008

Fahrradfahren in Tokio

Seit dieser Woche beginnt ein neues Kapitel für mich in Tokio. Seit einigen Tage bin ich stolzer Besitzer eines schicken (und sehr schnellen) Fahrrads! War gar nicht so einfach, ein Rad in Tokio zu kaufen, da sich der Fahrradmarkt hier erst seit den letzten Jahren entwickelt. Zwar gibt es überall die üblichen Citybikes sowie über-Sportbikes zu kaufen, aber ein vernünftiges Rad zum Pendeln war schon schwerer zu finden.



(Warum die mir zwei große Sticker mit der Aufschrift "CHAOS" auf den Rahmen geklebt haben, weiß ich allerdings nicht - die kennen mich doch gar nicht?!)

So habe ich alle Fahrradgeschäfte in meiner näheren Umgebung abgeklappert, aber nicht das Richtige gefunden. Am Ende habe ich das Rad dann im Internet bei einem Laden in Osaka bestellt. Was mich insgesamt so um die 40.000 Yen (ca. 250 Euro, inklusive Lieferung) gekostet hat - für japanische Verhältnisse eine ganze Stange Geld für ein Fahrrad. Einfache (extrem-schnell rostende) Citybikes gibt es schon ab ca. 8.000 Yen zu kaufen (ca. 50 Euro). Dies verleitet die lieben Japaner auch dazu, sich nicht wirklich um ihr Zweirad zu kümmern, und so enden die meisten nach einiger Zeit verrostet und vergessen an irgendeinem Straßengeländer und warten darauf, dass es von der Polizei eingesammelt und verschrottet wird.

Auch wenn ich jeden Morgen nur ganze sieben Minuten oder drei Stationen mit der U-Bahn fahren muss, geht mir die tägliche Drängelei und hektische Rennerei der japanischen Workaholics ziemlich auf die Nerven - daher will ich in Zukunft so oft wie möglich mit dem Rad zur Arbeit pendeln.

Dies ist allerdings laut Kundgebungen meiner Kollegen eigentlich nicht erlaubt, da Tokio nicht wirklich zu den fahrradfahrerfreundlichsten Orten auf diesem Planeten gehört (was schwer untertrieben ist, eigentlich ist Tokio der absolute Alptraum für Radfahrer). Unsere Kranken- und Unfallversicherer sehen es halt mal nicht gerne, wenn man mit dem Rad zur Arbeit fährt, weil sie wohl mit zu hohen Kosten rechnen, sollte mal was passieren.

Auch meine Firma ist nicht wirklich auf Fahrräder eingestellt - Parkplätze gibt es streng genommen nicht. Da seit einiger Zeit immer mehr Leute mit dem Rad ins Büro kommen, steht halt der ganze Vorgarten voll mit Fahrrädern. Bin mal gespannt, ob ich als Europäer es anleiern muss, dass endlich mal vernünftige Stellplätze eingerichtet werden oder ob dies einer meiner Kollegen in Angriff nimmt....

Am Sonntag Morgen habe ich mich dann mal probeweise auf den Weg gemacht - ausgestattet mit Ausdrucken von google maps und einer ungefähren Vorstellung, wie ich zu meiner Firma kommen wollte. Da die Japaner Sonntag morgens bis in die Puppen schlafen, war relativ wenig bis gar kein Verkehr - das größte Hindernis waren einige ältere Damen, die es tatsächlich schafften, zu zweit eine 5 Meter breite Straße komplett zu blockieren - (interne Notiz: irgendwann mal versuchen, das mathematisch nachzuweisen). Und heute Morgen dann der Ernstfall - mit dem Rad zur Firma pendeln!

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Der erste Teil der Strecke führt entlang einer engen Einbahnstraße durch ein Wohngebiet mit vornehmlich Einfamilienhäusern. Da wird man morgens von diversen Autofahrern angehubt, weil man nach deren Auffassung den Weg versperrt - unglaublich, wie viel Geduld die sonst also so "feinfühlig" und "rücksichtsvollen" Japaner hier an den Tag legen. In einer 20er-Zone mit maximaler Breite von 4-5 Metern zwischen Hauswand und Hauswand...Vor allem sind das wohl (völlig überforderte) Mütter, die noch kurz ihren Nachwuchs in der Tagesbetreuung abliefern und dann schnell ins Büro wollen.

Der zweite Teil geht entlang des Kandagawa-Flusses, wo es eine autofreie Promenade gibt. Nach der Hälfte der Strecke muss ich erneut auf die Straße, wiederum durch ein Wohngebiet mit relativ wenig Verkehrsaufkommen, aber breiteren Straßen. Und dann kommt wieder ein Stück entlang des Flusses.

Bis dahin ist alles ganz easy, bis auf die alten Damen, die glauben, sie sind alleine auf dieser Welt unterwegs, eine einfach zu bewältigende Strecke. Die folgenden, wenigen Meter entlang einer Hauptstraße sind auch gar nicht so schlimm, da man alternativ auch eben auf den Gehweg ausweichen kann (was in Japan Gang und Gebe ist, um sich vor den völlig rücksichtslosen, verrückten und untalentierten Taxifahrern zu schützen.

Nach einem weiteren kleinen Stück durch ein Wohngebiet in der Nähe von Tokyo Dome komme ich dann zur Sotobori Dori-Straße, wo es einen geteilten Geh- und Radweg nach europäischem Vorbild gibt. Selbst das in Deutschland bekannte blaue Schild hat man hier etabliert - nur verstehen die Japaner es nicht. Auch wenn die beiden Bereiche für Fußgänger und Radfahrer farblich deutlich unterschieden sind, laufen die Anzugträger morgens - Blick streng auf das Mobiltelefon gerichtet - kreuz und quer in der Gegend rum - an Radfahren ist da nicht mehr zu denken. Aber auch diese wenigen hundert Meter sind zu überstehen, und nach gut 25 Minuten sitze ich an meinem Schreibtisch im Büro - nachdem ich mein Rad im Vorgarten abgestellt habe ;-)

Die Strecke zum Büro ist laut google maps 4,91 km lang, der Rückweg ist aufgrund einer etwas veränderten Wegführung (Einbahnstraßen) wohl etwas länger.

Allgemein muss man wohl erwähnen, dass die Japaner in der Grundschule anscheinend alle durch die Fahrradprüfung gefallen sind - oder dass diese grundlegenden Verhaltensregeln gar nicht auf dem Lehrplan stehen. Sie verhalten sich im Straßenverkehr nämlich wie die absoluten Rowdies, nehmen jede rote Ampel locker mit und drängeln selbst durch eine Fußgängergruppe, die gerade bei grün die Straße überquert.

Auch fahren sie mal links und mal rechts auf der Straße, als ob dies überhaupt keinen Unterschied machen würde. Da wird mir langsam klar, warum meine Versicherung es nicht mag, wenn wir mit dem Rad unterwegs sind. Vielleicht sollte man den Grundschülern (und dem gemeinen japanischen Angestellten) mal ein paar Stunden Unterricht im Fahrradfahren spendieren - schaden würde dies sicherlich nicht.

Am Ende beißt es sich halt doch, wenn man 9 Jahre braucht, um Lesen und Schreiben zu lernen - da fehlt halt die Kapazität, um anderes zu lernen......

1 Kommentar:

Schmokko hat gesagt…

Hey, sportlich sportlich. Bietet sich da nicht eine Galerie mit den ätzensten Ecken des geradelten Weg zur Arbeit an?
Nur falls Du am nächsten Sonntag morgen nichts besseres zu tun hast, natürlich.
Hals und Beinbruch.